Peter Hopkins

 

 

Von Jan Hoet

 

Betörend schön, metallisch glänzend und irisierend schillernd ziehen die Bilder von Peter Hopkins den Betrachter sofort in ihren Bann. Doch die Schönheit seiner Bilder ist trügerisch und führt tief in die Abgründe der menschlichen Existenz hinein. Krise und Verfall sind die Themen des in Brooklyn arbeitenden Künstlers. Die Materialien, die er verwendet, sind auch nicht Farben im eigentlichen Sinn. Er benutzt verseuchtes Wasser, aggressive Reinigungsmittel, giftige Schlacken oder parfümierte Öle. Erstaunlicherweise entstehen so barock anmutende, hochartifizielle Bilder und Objekte.

 

Die ersten Arbeiten von Peter Hopkins sah ich Ende der 80er Jahre in der New Yorker Galerie American Fine Arts. Da hingen große Bildobjekte an den Wänden, die zunächst an die Malerei des Informell erinnerten. Aber darum ging es nicht, und Malerei war es im engeren Sinne auch nicht. Hopkins hatte weggeworfene Matratzen von der Straße aufgelesen, möglicherweise auf der Bowery oder in einem anderen Elendsquartier, wo Obdachlose leben.

 

Die mit Rissen und Flecken, Schmutz und Abnutzungsspuren gezeichneten Lagerstätten waren mit einer üppigen Firnis überzogen. Das gab den Alltagsgegenständen eine geradezu pastorale Aura bei allem Respekt für die anonyme Würde ihrer früheren Benutzer. Aus ihrem ursprünglichen Kontext entrückt, hatten sich die so bearbeiteten Objects trouvés zu Recht den Einlass in den Kunstraum verschafft. Damit forderten sie eine anders geartete inhaltliche und formale Auseinandersetzung mit dem Leben ein. Das hatte mich so stark beeindruckt, dass ich Peter Hopkins dann zur documenta nach Kassel im Jahr 1992 einlud.

 

Die Zelebrierung der Verletzlichkeit scheint mir ein zentraler Ausgangspunkt seiner Arbeit zu sein. Dabei laboriert Hopkins im Zwischenbereich von Produktion und Destruktion. Er reflektiert die Konditionen des Lebens, indem er Schichten und Schlieren auf der Leinwand ineinander fließen, wachsen und verschwinden lässt. Das kann man sich im übertragenen Sinne wie eine Vivisektion vorstellen, einen beobachteten Eingriff am lebenden Material.

 

Bei den Versuchsanordnungen behält der Künstler die Kontrolle über die kontaminierenden und sich gegenseitig attackierenden Materialien. Im glücklichsten Fall entfacht er am  Rande des Abgrunds ein apokalyptisches Leuchten – das ohne Frage und nicht unbeabsichtigt bis an den Rand des Kitsches. Manchmal geht es halt schief und die gefräßigen Ingredienzien eliminieren sich gegenseitig.

 

Immer wieder hat der Künstler auch mit Düften und Parfüms gearbeitet, einem ganz besonders flüchtigen Element. Bei der documenta IX in Kassel war es ein so gut wie unsichtbares kleines Loch in der Neuen Galerie, dem über hundert Tage hinweg ein verführerischer Duft entströmte. Seine Wirkung konnte sich jedoch nur in der intimen Nähe mit dem Besucher entfalten. Nur wer der intelligent gelegten Fährte des Künstlers nachspürte, konnte dem raffinierten Spiel auch auf die Schliche kommen und sich verführen lassen.

 

Wie Marcel Proust schrieb, kann über einen Geruch eine ganze Kette von Assoziationen in Gang gesetzt werden. Eine parfümierte Karte, eine nach Jahren geöffnete Handtasche kann Erinnerungen hervorzaubern oder einen in die Verzweiflung stürzen, weil der Duft verflogen ist, einem schal oder gänzlich anders begegnet. Im Jahr 2002 befremdete ein gläserner, verästelter Brunnen auf der Messe Art Basel. Da duftete der begehbare „Perfume Room“ nicht nach Chanel, sondern das Geruchserlebnis war eher unangenehm, geradezu bösartig, wenn nicht gar möglicherweise gesundheitsschädlich. Das Schöne und das Faulige, das Köstliche und das Widerwärtige sind der Humus, auf dem Peter Hopkins seine Blumen des Bösen züchtet.

 

Hopkins Werke mögen vom Zufall handeln, ein Zufall sind sie jedoch bei weitem nicht. Zwar geht der Künstler bei der Zusammensetzung seiner miteinander reagierenden Materialien  ein hohes Risiko ein, was unter extremen Umständen bis zur Zersetzung der Bildfläche oder der Zerstörung fein komponierter Düfte führen kann. Aber da es ihm nicht um ein akademisches oder rein chemisches Experiment geht, muss er die Fäden in der Hand behalten und den Elementen an einem bestimmten Punkt Einhalt gebieten. Er bringt die toxischen, alchimistischen Prozesse genau dann zum Stillstand, wenn sie ihm bildreif erscheinen. Wie schockgefroren sind sie dann zu ewiger Schönheit verdammt.

 

Die Arbeitsweise beginnt oft mit dem Reinigen der industriell für den Malauftrag imprägnierten, beziehungsweise grundierten Leinwand. Das Bleichen nimmt dem Bildträger den Schutz, entkleidet ihn bis auf die Haut. Diese Prozedur macht ihn anfällig und angreifbar für die Interaktionen der verwendeten, teils verunreinigten und aggressiven Produkte, die im Zusammenspiel oder auch der Attacke zu funkelnden abstrakten Ikonen explodieren oder sich lyrisch an einander schmiegen, in Rosa oder Giftgrün, Gold oder Kobaltblau.

 

Der Prozess der vorbereitenden Reinigung mit Bleichmitteln ist im Grunde genommen der „tödliche“ (Hopkins) Feind aller haltbaren, archivierbaren Oberflächen – und doch irgendwo auch ein Punkt, den der Künstler immer wieder aufs Neue ausreizt und aushalten will. Hopkins benutzt den Begriff des „Cleansing“ (Säuberung) im Gegensatz zum einfachen „Cleaning“ (Saubermachen). Das impliziert zweierlei. Die Leinwand bietet sich rein und bloß dem ihr zugedachten Ansinnen dar und öffnet sich zugleich als ein metaphorisches Feld.

 

Vor einigen Jahren händigte die Galerie American Fine Arts dem Künstler eine Reihe von „bleach paintings“ aus. Er hatte die Arbeiten aus den 80ern nach einer Überschwemmung des Basements der Galerie längst abgeschrieben. Nun packte er sie fast 20 Jahre später aus. Seine Überraschung formulierte Peter Hopkins in einem Text aus dem Jahr 2006. Er schreibt: „Sie hatten noch die gleiche Unmittelbarkeit wie zu der Zeit, als ich sie geschaffen hatte.“ Die Wiederbegegnung mit den verloren geglaubten Arbeiten führte zu einer Rückbesinnung und Überprüfung seiner Strategien und Methoden.

 

Die neuen Bilder sollten eine Antwort auf die Frage sein, die sich der Künstler zwei Jahrzehnte zuvor gestellt hatte: Wie lässt sich „ein ‚entleerter’ Raum, der offenbart, wo sich ein Gemälde verorten könnte, ein ‚Schauplatz’, an dem es stattfinden könnte“ generieren? Auf dieser im übertragenen Sinne offenen Baustelle ist Peter Hopkins nach wie vor tätig. Da nimmt er die Spuren des Lebens auf, schaut zurück und nach vorn und vor allem in seine Untiefen, hantiert mit den zersetzenden Materialien und verschreibt sich einer Bildsprache, die bei aller grüblerischen Nachdenklichkeit etwas von Magie vermittelt.



2008